Literaturuhu 2012

Auswertung Literaturuhu 2012







 
Die Übersicht zeigt die erreichte Punktzahl der Teilnehmer in den Bereichen Quiz, Rezitation und Verfassen einer Kurzgeschichte sowie die daraus resultierende Platzierung.
Maximal konnten 75 Punkte erreicht werden, dabei war das Verhältnis von Quiz, Rezitation und Verfassen einer Kurzgeschichte 1:2:2.
Herzlichen Glückwunsch den Siegerinnen und große Anerkennung für die Leistungen der Platzierten sowie die Bewertungstätigkeit der Jury!
Platzierung

Name Quiz Rezit. KuGe Punkte
1 Brandt           Jule (10/1) 10 30 24 64
2 Machein        Miriam (10/1) 8 30 24 62
3 Kröplien       Sarah (9/1) 4 28 28 60
4 Schneider     Ben (9/3) 9 22 28 59
5 Otto                Maximilian (10/3) 11 18 24 53
6 Krakow          Kevin (9/2) 4 20 28 52
6 Nitschmann  Paula (9/1) 4 24 24 72
8 Conradi         Antonia (9/3) 9 20 20 49
8 Pazio             Eric (9/1) 3 22 24 49
10 Schmidt         Marianne (9/2) 3 14 30 47
11 Schmidt         Janó (9/1) 4 30 12 46
11 Schmidt         Anne (9/3) 6 24 16 46
13 Klopsch         Sabrina 4 12 28 44
14 Lemanski      Angelique 6 18 16 40
15 Taubert          Julia 4 8 24 36

Vielen Dank, dass die Fachlehrer die Teilnahme der oben aufgeführten Schülerinnen und Schüler ermöglicht haben.
K. Fahrenberg, J. Johs
 
Die Siegergeschichten
(Es sind nicht in jedem Fall die Geschichten der Gesamtsieger des Literaturuhus.)
Lass mich los! (Marianne Schmidt, Kl. 9/2)
Melanie ging in die Putzkammer, nahm sich einen Eimer, ein paar frische Wischlappen und Fensterreinigungsmittel und machte sich auf den Weg zu den kleinen aber hübschen Fenstern des Hotels „Zur alten Eiche“. Hier hatten sie und ihr bester Freund Matthias einen Ferienjob übernommen. Sie hatten nichts Konkretes mit dem erarbeiteten Geld vor, aber so hatten sie wenigstens etwas während der Ferien zu tun. Fensterputzen war die Sorte von Arbeit, die den beiden am häufigsten zugeschoben wurde. Melanie wurde es von Tag zu Tag unerklärlicher, wie ihr Vorgesetzter immer und immer wieder neue Fenster fand, die Melanie und ihr Freund putzen könnten.
Diesmal waren schlicht und einfach die Fenster des Zimmers 205 zu reinigen. Melanie machte sich auf den Weg dorthin und begrüßte hier und da einen ihrer Kollegen, die sie mit der Zeit immer besser kennen lernte. Sie stieg in den Fahrstuhl für das Personal und fuhr ganz nach oben in den achten Stock, in dem sich am Ende des Flures Zimmer 205 befand. Melanie schloss die Tür auf, trat ins Zimmer und betätigte, gleich nachdem sie ihren Eimer abgestellt hatte, die Musikanlage. Mit Musik machte ihr das Arbeiten jedes Mal gleich doppelt so viel Spaß. Bevor sie jedoch mit dem Putzen anfing, ging sie noch einmal in den Flur. Matthias und sie sollten das hier eigentlich gemeinsam machen. Umso eigenartiger war es, dass von ihm noch nichts zu sehen war. Der Flur war leer bis auf die wenigen Pflanzen, die ein bisschen Atmosphäre schaffen sollten.
‚Ich kann doch auch schon ohne ihn anfangen‘, dachte Melanie, ging ins Zimmer zurück und bereitete alles vor. Sie musste sich eingestehen, dass Fensterputzen wirklich keine spannende Angelegenheit war, dafür war es aber nicht besonders anstrengend. Während sie mit dem nassen Lappen über die Glasscheibe schrubbte, bewunderte sie die wunderschönen Reflektionen der Sonne auf dem Glas. Und wenn sie aus einem bestimmten Winkel auf die Scheibe blickte, konnte sie einen kleinen Regenbogen auf der nassen Scheibe sehen. Aber Melanie riss sich zusammen. Sie hatte schon wenig Zeit zum Putzen und ohne Matthias würde es doppelt so lange dauern. Sie durfte es sich jetzt nicht erlauben, so lange zu träumen. Eifrig und energiegeladen machte sie sich also an die Außenseite des Fensters. Dazu klappte sie es auf, setzte sich auf das Fensterbrett und fing an. Es war immer gar nicht so leicht für sie, die Balance zu halten und sich fest genug an den Fensterrahmen zu klammern, um nicht herunterzufallen.
Sie konzentrierte sich ganz genau darauf, keine Streifen auf dem Glas zu hinterlassen. Plötzlich hörte sie ein lautes Knallen, das sich wie eine zugeschlagene Tür anhörte, und gleich darauf ein Ohren betäubendes Krachen. Melanie hatte sich in ihrem Leben noch nie so erschreckt. Alles war absolut ruhig gewesen, und ganz konzentriert war sie ihrer Arbeit nachgegangen. Ein Zucken durchfuhr ihren Körper und sie geriet aus dem Gleichgewicht. Ihre Hände wirbelten durch die Luft, sie hatten den Fensterrahmen losgelassen und fanden nun nirgendwo mehr Halt. Das Gewicht ihres Oberkörpers zog sie nach unten, aus dem Fenster, in Richtung Straße. Alles geschah innerhalb einer, vielleicht auch zweier Sekunden.
Auf einmal wurden ihre Handgelenke umfasst. Von etwas Starkem und von etwas, das ihr Sicherheit gab. Matthias war von der Tür aus zum Fenster gerannt und versuchte krampfhaft, Melanies Handgelenke nicht loszulassen. Erst jetzt bemerkten die beiden, in welcher Situation sie sich befanden: Melanie hing aus dem Fenster des achten Stockwerks und wurde nur durch Matthias‘ Arme gehalten.
Matthias‘ Arme als „stark“ oder „kraftvoll“ zu bezeichnen, wäre allerdings übertrieben gewesen. Er schaffte es anscheinend, Melanie nicht fallen zu lassen, aber wie lange noch? Obwohl sie es kaum wahrnahm, liefen kleine Tränen über Melanies Wangen. Matthias nahm davon keine Notiz, er hatte Mühe nicht einfach loszulassen und begann zu schwitzen. Er sah Melanie nicht an, bis er sie etwas sagen hörte.
„Lass mich los“, brachte sie mühsam hervor. Ihre Stimme hörte sich klein, unsicher und zerbrechlich an. Matthias konnte nicht glauben, was er gehört hatte. Doch zu diesem Zeitpunkt ging etwas Seltsames in Melanie vor. Ihr war es egal. Es war ihr egal, ob es Matthias schaffte, sie zu halten, oder ob er sie unfreiwillig loslassen würde. In diesem Moment lief nicht, wie es in Filmen immer beschrieben wird, ihr ganzes Leben vor ihrem inneren Auge ab. Sie dachte einfach an nichts. Sie dachte an nichts und sie sah auch nichts. Sie hatte die Augen geschlossen und wartete darauf, was passieren würde. Würde Matthias stark genug sein? Oder würde sie bereits in wenigen Augenblicken dabei sein, sich auf den harten Asphalt der Straße zuzubewegen? Matthias war sprachlos. Aber er wusste, dass er ihr nicht helfen konnte, wenn sie ihm nicht ein bisschen helfen würde.
„Melanie, hör mir zu! Wir schaffen das, aber du musst mir helfen, ja? Ich werde jetzt versuchen dich hochzuziehen, aber du musst mir helfen. Stoße dich … einfach mit deinen Füßen in meine Richtung ab, okay? Wir schaffen das, ich zähle jetzt bis drei. Eins … zwei …“, sagte er und atmete noch einmal tief ein. „Drei!“, stieß er nun mühsam hervor und zog mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, an Melanies schlaffem Körper.
 
 
 
Lass mich nicht los! (Kevin Krakow, Klasse 9/2)
Mary war schon immer etwas Besonderes. Ich mochte sie vom ersten Augenblick an. Wie ihr Haar im Wind wehte und ihr Gesicht beflügelte! Sie war mir sofort sympathisch. Man könnte sagen, es war Liebe auf den ersten Blick. Doch das ist nun alles nicht mehr.
Ich weiß noch genau, wie wir als Jugendliche mit unseren Fahrrädern zum Haus an diesem wundervollen See gefahren sind. Dort verbrachten wir beide viel Zeit. Dort fanden eigentlich alle so schönen Momente und kostbaren Augenblicke unserer Beziehung statt. Ich erinnere mich noch an unseren ersten Kuss. Es war ein wunderschöner Tag im Juni und die Sonne brannte vom Himmel. Wir waren damals beste Freunde, doch ich empfand mehr für sie als nur Freundschaft. Wir zelteten beide und machten ein Feuer. Wir erzählten stundenlang. Am nächsten Morgen gestand ich ihr meine Liebe. Ich hatte gedacht, dass sie sprachlos wäre, doch sie sah mich an und küsste und umarmte mich. Das war der glücklichste Tag meines Lebens.
Heute habe ich kaum noch glückliche Tage. Mein Tagesablauf besteht meistens darin, zu arbeiten und danach in Trauer zu versinken. Ich verfalle langsam der Macht des Alkohols, denn damit versuche ich meistens, meine Trauer zu überwinden. Doch vergeblich.
Aber ich kann nicht nur in Erinnerungen schwelgen. Ich muss nach vorn sehen. Wie so ein russischer Typ einmal (ich weiß nicht mehr seinen Namen) gesagt hatte: „Vorwärts immer, rückwärts nimmer“. Der Whiskey bahnt sich brennend seinen Weg durch meine Kehle und ich fange plötzlich an zu husten. Der Husten ist nicht wie der einer Erkältung, sondern wie der eines Rauchers. Das Rauchen hat wohl seine Spuren hinterlassen. Doch seit der Diagnose habe ich damit aufgehört.
Der Arzt hatte damals zu mir gesagt, dass es das Beste sei, wenn ich mit dem Rauchen aufhöre. Er sagte, dass ich damit nur mich und Mary in Gefahr bringe.
Seit Mary im Krankenhaus ist, ist die Wohnung so leer. Kinder habe ich nicht, aber es waren welche geplant. Mein Leben gleicht einer Ruine. Ich fahre jeden Tag zu meiner Liebsten, um zu sehen, wie es ihr geht. Jeden Tag aufs Neue  erfahre ich eine Höllenqual. Jeden Tag sehe ich mich im Spiegel an und sage: „Martin, heute wird ein guter Tag!“ jedoch ist das meistens eine Lüge. Die im Büro sagen ständig zu mir, dass ich eine Auszeit brauche. Doch auf ihr geheucheltes Mitleid kann ich verzichten.
Heute ist wieder so ein „guter“ Tag. Ich werde mich also in meinen neuen BMW setzen und zu meiner Frau fahren. Auf dem Weg zum Auto bleibe ich plötzlich stehen und sehe mir die Eiche an, die wir auf unserem Gehöft gepflanzt hatten. Sie ist nun schon fünf Jahre alt. Sie war ein Geschenk zu unserer Hochzeit von meinem Opa. Er sagte damals zu mir, dass ich mich immer an meine Hochzeit erinnern werde, und dass die Eiche das beste Erinnerungsstück sei, denn sie werde viele hundert Jahre alt und sieht dann immer noch schön aus. Außerdem sagte er, dass ich mich immer an das erinnern werde, was geschehen war, was jetzt ist und was sein wird.
Ich steige also in meinen Wagen und fahre zu Mary. Sie lächelt mich an und sagt: “Hey, Liebling“. Ihre Augen funkeln noch wie am ersten Tag, als ich sie sah.
Ich gehe zu ihrem Bett und küsse sie. Als ich ihre Lippen berühre, schießen mir zehntausende Bilder durch den Kopf: Vom Anfang unserer Beziehung, über die Diagnose, bis heute früh. Ich versuche die Bilder zu verdrängen, doch die Reihe stoppt bei einem Bild, dem Bild vom Tag der Diagnose. Dies war der Tag, an dem eine Welt für mich und Mary zusammenbrach.
Wir gingen damals zum Arzt, um Mary untersuchen zu lassen, denn sie war Monat für Monat immer schwächer geworden. Wir dachten anfangs, dass es ein Infekt sei und dachten uns nicht dabei.
Dann hatten sie unzählige Ärzte auf unzählige Krankheiten hin untersucht, jedoch ohne Ergebnis. Eines Tages wurde sie ins Krankenhaus eingeliefert und der Arzt erschien mit trauriger Miene und verkündete die verhängnisvolle Botschaft. Heute sehe ich Mary an und rede mit ihr, als wenn nichts wäre, als wenn wir uns nichts sagen müssten. Aber wir wissen beide nur zu gut, dass es ein Problem ist.
Die Krankenschwester kommt und holt Mary zur CT ab. Ich gebe ihr einen Kuss und gehe. Ich fahre nach Hause, leere die Whiskeyflasche und gehe schlafen. Vor meinem inneren Auge sehe ich den Arzt, der uns damals die Botschaft verkündete. Er teilte uns mit, dass Mary Krebs hat. Wir fragten ihn, ob Mary heilbar wäre, er sagte uns jedoch, dass der Krebs in einem zu fortgeschrittenen Stadium sei, um entfernt zu werden.
Die Chemotherapie hat bewirkt, dass Mary die wunderschönen Haare ausfielen.
Der Arzt sagte damals, dass sie noch fünf Jahre zu leben hat. Zu diesem Zeitpunkt waren wir gerade verheiratet.
Jetzt sage ich mir jeden Tag aus Neue: ‚Bitte, bitte, lass mich nicht los!‘
 
 
 
 
Lass mich los! (Ben Schneider, Klasse 9/3)
Wenn ich es nicht selbst erlebt hätte, dann würde ich es auch nicht glauben.
Ich war gerade unterwegs zum Flughafen, als mir einfiel, dass ich noch Geld abheben muss. Also machte ich mich auf zur nächsten Bank. Die etwas finster dreinblickenden Männer vor dem Gebäude fielen mir zu diesem Augenblick zuerst gar nicht auf. Als ich in der Bank war, wurde ich auch schon gepackt; ich war mitten in einen Überfall geraten. So etwas konnte natürlich nur mir passieren! Ich schrie immer wieder: „Lass mich los! Lass mich los! Lass mich verdammt noch ‚mal los!“ Ich wusste nicht, warum ich so schrie, es hätte sowieso nichts gebracht. Bei einem Überfall denkt ja keiner ans Wegrennen. Man würde sowieso aufgehalten werden.
Man brachte mich zu einer Gruppe von Leuten, die auch in den Überfall geraten waren. Sie sahen alle ziemlich fertig aus. Ich dachte an mein Flugzeug, das in zwei Stunden losfliegen würde. Ohne mich. Ich hatte so viel Geld für diese Reise bezahlt! Ich wollte für drei Wochen nach Indien fliegen. Das Hotel hatte Preise! Oha! Die nahmen einen aus wie eine Weihnachtsgans. Ich wollte einfach entspannen. Stattdessen saß ich hier fest.
Was auch immer diese Verbrecher vorhatten, sie ließen sich Zeit. Meiner Meinung nach zu viel Zeit. Die Leute neben mir dachten wahrscheinlich gerade dasselbe. Zumindest verrieten ihre Gesichter vieles. Ich wollte den Mann neben mir ansprechen, doch die Leute, die uns festhielten, schrien uns nur an. Jetzt war ich mit meiner Geduld am Ende.
„Jetzt hören Sie mir mal zu! Lassen Sie mich und die anderen jetzt los! Wo sollten wir denn hingehen?“
Ich war nun voller Wut. Und das schienen diese Typen verstanden zu haben. Sie gingen aus dem Raum. Wir hörten ein leises Klicken, sie schlossen den Raum ab. Das war mir nur recht.
Es war jetzt schon nach Zwölf. Mein Flieger war nun irgendwo im Mittelmeerraum. Bis nach Indien war es nicht mehr weit. Es war mir inzwischen aber völlig egal.
Die Leute atmeten auf, als sie sich endlich wieder strecken konnten. Nun konnte ich diese Gruppe auch überblicken. Alle sahen mitgenommen aus. Vor allem der ältere Herr litt noch deutlich von langen Knien. Sie alle dankten mir dafür, dass ich den Mut aufgebracht hatte, den Verbrechern die Meinung zu sagen.
Ich fragte den älteren Herrn: „Geht es Ihnen gut, Herr … ähm …?“
„Oh, Müller. Ich heiße Müller. Und ja, es geht mir den Umständen entsprechend.“
Das beruhigte mich. Alle bis auf ihn sahen nämlich gesund aus. Der Flug und der Ärger, der damit verbunden war, wurden immer unwichtiger für mich. Ich wollte hier raus und nur noch nach Hause. Also fragte ich in die Runde:
„Hat jemand einen Plan?“
 
 
Lass mich nicht los! (Sabrina Klopsch, Klasse 9/2)
Laura. Ein Mädchen wie jedes andere auch. Sie geht zur Schule, bemüht sich, das Beste aus allem zu machen, hat Freunde, eine Familie, Hobbys. Alles, was jeder andere, zumindest die meisten Menschen, ebenfalls haben. Doch wenn man genauer hinsieht, ist etwas anders bei diesem Mädchen. Sie ist nicht glücklich, auch wenn sie es gern wäre.
Alles ist anders und verkehrt in ihrem Leben. Ihre „Freunde“, so wie sie sie bezeichnet, wollen nicht wirklich etwas mit ihr zu tun haben. Das liegt wahrscheinlich daran, dass sie niemanden an sich heranlässt. Sie ist allein. Jeder will ihr helfen, doch keiner kann es, denn es gibt diesen einen Jungen in ihrem Leben. Dieser eine Junge, der ihr alles bedeutet. Doch keiner weiß, wie lange er noch leben wird. Jeden Tag ist sie bei ihm, geht erst spät von seinem Zimmer im Krankenhaus nach Hause.
Leukämie. Dieses Wort kommt nur schwer aus Lauras Mund, wenn ihr jemand die Frage stellt, was ihr Freund denn für eine Krankheit hätte. Nur sehr ungern redet sie über dieses Thema. Eigentlich redet sie mit niemandem darüber. Ihre Familie besteht einzig und allein aus ihrem Bruder, der sowieso nichts von ihr wissen will. Ihre Eltern sind vor langer Zeit gestorben. Laura musste schon vieles durchstehen, viele Dinge erledigen, von denen andere in ihrem Alter keine Ahnung haben. Und bis jetzt hat sie alles überstanden und war trotzdem glücklich.
Aber vor ein paar Monaten erfuhr sie diese eine Sache. Diese eine Sache, worüber sie fast ununterbrochen nachdenkt. Leukämie ist kein schönes Thema, worüber man sich Gedanken machen will. „Es wird alles wieder gut“, sagte er immer zu ihr und hielt dabei ihre Hand. Sie fragte sich dann immer, wieso gerade er so positiv denkt, denn eigentlich sollte sie diejenige sein, die ihm das sagt. Eigentlich sollte sie diejenige sein, die lächelt, wenn sie ihn sieht.
Doch das kann sie schon lange nicht mehr. Lächeln. Lächeln und glücklich sein.
Wenn sie ihn gerade besuchen kommt und er schläft, setzt sie sich immer ans Fenster und erinnert sich an das erste Treffen.
Auf einer Brücke. Darunter war eine kleine  Straße, die zu einem See führen sollte. Es war kalt und windig, als sie auf ihn wartete. Kein Mensch würde jemals an diesen Ort kommen, dachte sie. Und das war auch gut so.
Sie kann sich noch genau daran erinnern, wie er sie angelächelt hat, als er ihr auf der Brücke entgegenkam. In diesem Moment war sie glücklich, wahrscheinlich so glücklich wie nie zuvor.
Auch jetzt sitzt Laura wieder am Fenster und wartet darauf, dass er aufwacht. Die Sonne scheint ins Fenster, direkt auf sein Gesicht. Er sieht so glücklich aus. Als ob er nichts hätte, als ob nie etwas gewesen wäre. Doch sie weiß, dass es irgendwann vorbei sein wird. Irgendwann wird sie ihn nicht mehr sehen, sein Lachen, seine Augen, sein ganzes Gesicht.
Nach mittlerweile vier Stunden öffnet er seine Augen und hält seine Hand in ihre Richtung, ohne etwas zu sagen.
Wortlos geht sie zu ihm und er legt seine Arme um sie. Sie liebt diese Momente.
„Lass mich bitte nie wieder los, sagt sie, schließt ihre Augen und hofft, dass dieser Moment nie vorübergeht. Dass doch noch alles ein gutes Ende findet.
 
 
 
Lass mich nicht los! (Sarah Kröplien, Klasse 9/1)
„Kannst du mir erklären, was das soll?“ Sie ist außer sich vor Wut. Verständlich. Warum?
„Wie viel bin ich dir denn wert?“, sagt sie und sieht mich an. Ich bin sprachlos, wortlos.
„Na toll, erst hintergehst du mich und dann nimmst du keine Stellung?! Antworte mir doch endlich!“
Ich komme langsam wieder in die Realität zurück.
„Schatz, es war nicht so, wie es aussah“, sage ich so einfühlsam, wie ich kann.
„Du hast mich betrogen! Wie soll man das falsch verstehen?! Mark, sieh mich verdammt noch `mal an!“
Ihre Stimme ist schwankend, ihre Augen sind mit Tränen gefüllt. Ich wollte das nie tun. Ich habe mir geschworen, so etwas nie zuzulassen.
„Ich wollte …“, fange ich an, aber irgendetwas in mir bringt mich zum Schweigen.
„Mark, ich habe dich geliebt! Begreifst du es nicht, du warst alles für mich, und dann kommt so eine Zicke von nebenan und wickelt dich um ihren dünnen langen Finger, der schon viele Bekanntschaften gemacht hat!“ Ihre Stimme bebt, Tränen laufen ihr über das Gesicht.
„Mark, bitte sag etwas! Bitte!“ Nun hat selbst das Zurückdrängen der Tränen keinen Sinn mehr. Sie weint.
Ich versuche Worte zu finden. Worte für das, was passiert ist, für das, was eigentlich nie passieren sollte.
Ich atme ein. „Schatz, es tut mir leid.“
„Sehr überzeugend! Das mit ‚Schatz‘ kannst du dir verkneifen, Mark!“, antwortet sie. Ihr Kopf ist gesenkt, das Make-up dahin.
Wir schweigen. Wir schweigen lange und sehen uns nicht an.
Sie findet als erste die Sprache wieder. „Und nun? Was soll aus uns beiden werden?“
Ich schaue sie an. Das strahlende Blau ihrer Augen ist getrübt und schimmert durch die Tränen.
„Ich weiß es nicht.“ Mehr fällt mir nicht ein. Ich bin wieder sprachlos.
Sie atmet ein und wieder aus. „Es fällt mir schwer, dies zu sagen, aber da du ja nichts weiter zu sagen hast, wird es wohl das Beste sein, wenn ich jetzt gehe.“ Sie steht auf und schaut mich an. Sie ist verzweifelt, traurig. Der Blick eines Menschen sagt viel über sein Wohlbefinden aus. Sie wendet sich von mir ab, langsam.
Ohne groß zu überlegen, springe ich auf, packe sie am Oberarm. Sie ist nicht überrascht über meine Reaktion, doch sie dreht sich weg.
„Was soll das? Lass mich los!“
Ich ziehe sie wieder langsam an mich. Sie sträubt sich nicht mehr dagegen. Ich sehe Hoffnung in ihrem Blick. Ich will ihr vieles sagen, die unbeantworteten Fragen, das Wieso und Warum klären, doch ich flüstere ihr ins Ohr: „Ich liebe dich und ich werde dich immer lieben!“
Mit diesen Worten drehe ich mich um und gehe mit dem Gedanken: ‚Ich werde dich nie loslassen‘.
 
 
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